Woher stammt der Name "Tarot"

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Woher stammt der Name "Tarot"

Postby Langustl » 26 Jan 2011, 08:26

Hallo ;-)

Eine immer wieder diskutierte Frage. Allerdings bleiben die meisten Diskussionen eher an der Oberfläche. Vielleicht schafft es dieser Thread, die Frage etwas ausführlicher und auch einmal in deutscher Sprache zu beleuchten.

Gebräuchliche Behauptungen sind die Herkunft aus dem Ägyptischen (Tar=Weg, Ro=König >> Königlicher Weg), Abstammung vom Wort Thora (Hebräisch = Göttliches Gesetz), die Herkunft der Karten aus einer Gegend nahe des Flusses Taro in Italien oder die Behauptung (Paul Foster Case), dass es sich um eine Abkürzung für die Kombination "ROTA TARO ORAT TORA ATOR" = "das Rad des Tarot verkündet das Gesetz der Einweihung" handelt.

Ich persönlich ziehe etwas einfachere Ansätze vor. Die Bezeichnung für das Rückenmuster der Karten im Französischen ist "taroteé" (Reihen von sich kreuzenden Linien). Manche Karten hatten eine Umrandung aus einem spiraligen Band mit Tupfen oder Punkten, "tares" genannt. Diese Karten wurden als "tarots" oder "taroteés" genannt. Der Name "Tarot" könnte eventuell auch von dem arabischen Wort "taraha" طَرَحَ abstammen, was soviel wie "abziehen" oder "ablegen" (also "kartenspielen") bedeutet. Die Herkunft der Spielkarten aus dem Arabischen (+Asien) ist belegt.

Wer hat noch weitere Informationen oder Ideen?
LG Stephan
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Re: Woher stammt der Name "Tarot"

Postby huck » 27 Jan 2011, 11:44

Hallo Langustl,

In der Tat ein sehr beliebtes Thema.
Es gibt mindestens 20 Vermutungen mit unterschiedlichen Erklärungsangeboten.

Fakt ist, dass die erste Anwendung des Wortes (d.h. die erste Anwedung, von der wir wissen) des Wortes "Taroch" in Zusammenhang mit Kartenspiel sich in etwa um Ende Juni 1505 ereignet, weil dann Taroch-Karten in Ferrara produziert werden. Die Produktion und ihr Zeitpunkt scheint nicht ganz zufällig zu sein. Im Januar 1505 war Herzog Ercole d'Este von Ferrara gestorben - nach immerhin 34 Jahren "im Dienst" als Herzog.
Alfonso d'Este, sein ältester Sohn, hatte sicher einiges Formales ud Praktisches zu regeln, um den Herrschaftsantritt in geregelte Bahnen zu lenken. Zum Herrschaftsantritt gehörten, das ist eindeutig, einige repräsentative Dinge, das ist z. B. die Wahl von einer persönlichen Heraldik und Wahl neuer Münzmotive, die dann auch entsprechend praktisch umgesetzt wurden und Geld und etwas Energie verlangten. Mit in diesem Reigen der Repräsentation scheint gehört zu haben, dass auch neue Kartenspiele (letztendlich Teil der Heraldik) geschaffen wurden. Schon bei Leonello, ebenfalls Herrscher in Ferrara 64 Jahre vorher gab es nach Herrschaftsantritt erstmals "Trionfi-Spiele" und zwar schon nach einem Monat. Bei Borso Oktober 1450 dauerte es etwas länger, vielleicht ein Jahr. Bei Ercole rechnet man spätestens bei der Hochzeit mit Eleanor d'Aragon mit einem neuen Kartenspiel (dies wären 2 Jahre). Alfonso lag mit seinem "ein halbes Jahr später" durchaus im Rahmen.

Dieser "Regel", die nirgendwo dokumentarisch aufgezeichnet wurde, sondern sich nur durch die detaillierte Beobachtung ergibt, entsprechend scheint dann Alfonso beschlossen zu haben, "wir nennen es jetzt Taroch und nicht mehr Trionfi" ... warum auch immer. Um auf die Antwort zu kommen, muss man Alfonso's Werdegang beobachten. Alfonso machte in 1504 das, was man eine "Kavaliers-Reise" nennt. Er besuchte Frankreich und sogar England. Hintergrund solcher Kavaliersreisen war es natürlich, dass der "kommende Herrscher" politische Verbindungen knüpft und sich bei den Potentaten der Umgebung bekannt macht. Viel Diplomatie also, die dann später im normalen Regierungsgeschäft helfen sollte, unnötige Kriege einerseits zu verhindern und sinnvoll scheinende Kriege andererseits zu ermöglichen.Natürlich sonstige Staatsgeschäfte, Handelsbeziehungen etc.

Im konkreten Fall: Alfonso fuhr 1504 nach Frankreich und hat dann später immer wieder zu Frankreich gehalten, sogar zu Zeiten, als dies ungünstig war. Aus diesem Grunde liegt bei der Wahl des neuen "Taroch"-Wortes eventuell ein "französischer Einfluss" zugrunde. Dies liegt aus verschiedenen Gründen nahe ... der erste wichtige ist, dass sich im Dezember 1505, fast gleichzeitig, das neue Wort, nun als "Tarau", in einer Kartenspiel-Rechnung in Avignon auftaucht. Avignon ist zu dieser Zeit nicht "Frankreich", sonder päpstliches Territorium, ist aber seiner geographischen Lage entsprechend schon deutlich französisch beeinflusst. Avignon war dann auch Hochburg der Spielkartenproduktion um diese Zeit, begünstigt vor allem durch die Nähe zu Lyon, das als europaweit wichtigster Druck-Ort von Spielkarten gilt (zu dieser Zeit auch Hauptstadt von Frankreich, vor Paris).
Der 2. wichtige Grund: Frankreich hatte Mailand im Jahre 1500 eingenommen und war dadurch dominanter politischer Faktor in unmittelbarer Nachbarschaft zum ferraresischen Staat.

Nun haben wir zu dieser neuen Benennung "Taroch" für ein bestimmtes Kartenspiel in 1505 noch eine 2. neue Wort-Erfindung zu beobachten und das ist die des Wortes "Tarochus". Dies erscheint vor 1505 nur einmal und dann in dem Gedicht eines pro-Mailand Dichters und es dient ganz offensichtlich als Beschimpfung. Es wird, da eben selten, versuchsweise als "Dummkopf" übersetzt ... aber Fakt ist, es erscheint (soweit wir darüber wissen) nur einmal in dem Gedicht des Poeten, sonst nirgendwo. Das Gedicht ist leider undatiert, aber die beschriebene Aktion hat eine Ortsangabe und der Poet stirbt 1499 (also ist die mögliche Zeit eingeschränkt und eigentlich kommen die 1490er Jahre in Frage. Es passiert an der Grenze zu Savoyen und ein Fluss soll überquert werden und der Fluss dient als Grenze zwischen Mailand und Savoyen. Der Brückenwächter benimmt sich unverschämt und will Geld, der Poet benimmt sich gewalttätig, der Brückenwächter kriegt Panik und in seiner Angst hastet er gegen einen Brückenpfeiler. Der Poet kommt zwar nicht über die Brücke, amüsiert sich aber königlich. Der Brückenwärter ist im Gedicht der genannte "Tarochus". Soweit ist das alles ganz lustig, aber in der vermutlich gelebten Wirklichkeit war es das eigentlich überhaupt nicht.

Aus den Angaben, die der Dichter macht, kann man den Ort erschliessen: vermutlich ist dies der Übergang von Mailänder Gebiet zu Savoyen in Vercelli ... man sieht den Fluss.

http://maps.google.com/maps?f=d&source= ... 8&t=h&z=10

In Vercelli gab es in September 1495 (ein durchaus plausibles Datum für das Gedicht) Friedensverhandlungen zwischen Frankreich und Mailand, nachdem eine riesige französische Armee 1494 in Ialien eingedrungen war um Neapel einzunehmen. Wichtiger Gegenstand der Verhandlung waren einige tausend Soldaten, die immer noch in Novara (auch auf dem Plan, in einiger Entfernung) festsaßen und auf die Ergebnisse der Friedensverhandlungen warteten. Diese Soldaten hatten nichts mehr zu essen und hungerten ... und etliche starben. Nach zähen Verhndlungen, die sich hinzogen, durften sie aus Novara raus. Die Pferde gab's nicht mehr (aufgegessen), sie mussten zu Fuss nach Vercelli, eine ziemliche Strecke. Es war ein heisser Tag und hunderte weitere starben ebenfalls, einige, weil sie zu gierig nach der Hungerzeit alles in sich hineinstopften.
Einige Monate vorher hatten sich ein französisches und italienisches Heer am Flusse Taro eine Riesenschlacht geliefert, die relativ unentschieden ausging, aber in ihren Folgeerscheinungen das französische Italien-Abenteuer völlig blödsinnig machte und zu der verheerenden Situation der zurückbleibenden französischen Soldaten, verstreut in diverse Festungen in Italien, führte (die peu-a-peu von Italienern zurückgewonnen wurden). Eine vermutlich übertriebende Schätzung sagt, dass von 100.000 Soldaten nur einige tausend zurückgekehrt seien, was so vermutlich nicht stimmt, aber ungefähr die Dimensionen anzeigt, mit denen man es dabei zu tun hat.

Was bezeichnet nun demnach das Wort Tarochus in der Sprache des Dichters, der ja definitiv pro-Milan und nicht pro-Frankreich eingestellt war und vermutlich den Auftrag oder das Ansinnen hatte, an den Verhandlungen teilzunehmen? Es sollte wohl nicht irgendeinen Dummkopf meinen, sondern einen "franzosenfreundlichen Dummkopf" oder "Franzosen-Dummkopf" meinen, der es gewagt hatte, sich auf der appeninischen Halbinsel breitzumachen und der seine Quittung bekommen hatte. Die Franzosen waren vorher auch nicht zimperlich gewesen und hatten sich über die ängstlichen Italiener amusiert. Die Italiener zahlten zurück.

4-5 Jahre später waren die Franzosen wieder da. Und ganz Nord-Italien litt 30 Jahre unter den folgenden Kriegen. 1494 noch eine der reichsten Regionen Europas, war Mailand nach der Schlacht von Pavia 1525 völlig ausgeblutet.

Im Vorfeld des Krieges hatte es die Entwicklung des Rochus-Kults gegeben. Ein französischer heiliger Rochus hatte sich als Rom-Pilger die Pest geholt, aber diese wunderbarer Wise überlebt. Dieser Kult hatte sich in Norditalien seit den 1470'ern ausgebreitet und diente neben dem "heiligen Sebastian" als Heilmittel für die Plage. Die Franzosen hatten 1494/95 mit einer neuen Plage zu tun, der sog. "Franzosenkrankheit", die Syphilis, die manche schon hatten, als sie sich auf dem Rückweg befanden. Vielleicht hat die Rochus-Assoziation geholfen, das neue Wort zu etablieren.

Französisch hieß er "Roch", italienisch "Rocco" und latinisiert "Rochus". Das Wort Tarot kennt ähnliche Formen, Taroch (benutzt am Anfang, 1505), später dann Tarocco und im Falle des Dichterwortes "Tarochus".

... .-) ... Es ist etwas widersinnig, nach arabischen, weit entfernten Worterklärungen zu suchen, wenn 100 km entfernt wichtige sehr zeitnahe Ereignisse stattfinden, die neue Wortentwicklungen initiieren können.
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Re: Woher stammt der Name "Tarot"

Postby Langustl » 27 Jan 2011, 13:07

Hallo Huck

Danke, sehr spannend! Was ich noch nicht verstanden habe: Wie ergibt sich jetzt die Verbindung aus der abfällgen Frazosenbetitelung zur Benennung der Karten?

Übrigens finde ich den Gedanken mit dem arabischen Wortursprung nicht völlig weit hergeholt. Schließlich gab es Handelsverbindungen zwischen Europa und Nordafrika. Lass da mal ein paar Händler oder Soldaten die Karten mitgebracht haben, und wenn man sie fragt, erzählen sie, dass die, von denen sie das haben es "Tara" oder so ähnlich genannt haben. So wie das halt üblich ist, wenn sich Völker verständigen, die die gegenseitige Sprache kaum können Hört sich für mich zumindest einigermaßen natürlich an ;-)
LG Stephan
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Re: Woher stammt der Name "Tarot"

Postby huck » 27 Jan 2011, 15:18

Langustl wrote:Hallo Huck

Danke, sehr spannend! Was ich noch nicht verstanden habe: Wie ergibt sich jetzt die Verbindung aus der abfällgen Frazosenbetitelung zur Benennung der Karten?

Übrigens finde ich den Gedanken mit dem arabischen Wortursprung nicht völlig weit hergeholt. Schließlich gab es Handelsverbindungen zwischen Europa und Nordafrika. Lass da mal ein paar Händler oder Soldaten die Karten mitgebracht haben, und wenn man sie fragt, erzählen sie, dass die, von denen sie das haben es "Tara" oder so ähnlich genannt haben. So wie das halt üblich ist, wenn sich Völker verständigen, die die gegenseitige Sprache kaum können Hört sich für mich zumindest einigermaßen natürlich an ;-)


Falls es so war, dass die Italiener den Fluss und Schlachtort zum Franzosenspott benutzten, die Franzosen sich aber nicht geschlagen gaben (was sich daraus ergibt, dass sie zurückkamen und dann erfolgreicher waren), konnte sich das italienische Spottwort zum französischen Triumphwort umkehren.

Die Situation in der Hochrenaissance (1455 - 1494) war so, dass ganz Europa anfing, sich über die italienischen Fortschritte zu verwundern. Die Bewunderun ging so weit, dass sich mit der Zeit Halbeuropa mit der "Renaissance-Idee infizierte und italienische Verhältnisse nachahmte. Diese Fortschritte waren möglich, weil sich Italien in dieser Phase nicht mehr selbst zerfleischte (wie zwischen 1425-1454), der Papst wieder im Lande war (zurück von Avignon), die Kirchenspaltung überwunden (Gegenpapst Felix hatte 1449 final als letzter der Gegenpäpste aufgegeben) und der ganze Ost-West-Handel über Italien lief. Ferner hatte eine kleine Eiszeit eingesetzt, die Italien kühler und Nordeuropa noch kälter machte. Und der Papst hatte freie Bahn für angeblich religiöse Zwecke Geld einzusammeln.
Italienische Städte konnten viel grösser werden als nordeuropäische, weil sie weniger Holz zur Heizung brauchten. Köln, damals größte Stadt Deutschlands, wäre bevölkerungsmäßig in Italien nur eine Stadt von Mittelmass gewesen. Dadurch ergaben sich ganz andere urbane Bedingungen mit viel mehr Möglichkeiten.
Rom - ziemlich runtergekommen in der papstlosen Zeit - stieg in kurzer Zeit von 20.000 Bewohnern zu 90.000 auf ... dank papstlicher Bautätigkeit. Gelder die woanders verdient und in Rom ausgegeben wurden.

In Italien entwickelten sich in dieser grandiosen die "Trionfi", jetzt nicht als Karten gemeint, sondern als richtige grosse Feste mit allem Drum und Dran. Triumphale Selbstdarstellungen ... das machte Eindruck. Auf diese Art war das Wort Triumph oder auch Trionfi für Ausländer belegt. Als die Franzosen Mailand einnahmen, wollten sie keinen "italienischen Triumph", sondern einen französischen.

Generell havben wir keinen Beleg, dass die Einführung des neuen Wortes Tarau oder Taroch sofort eine grosse Sache war. Nach 1505 taucht das Wort erst wieder 1515 auf, in einer Phase, als sich andeutete, dass die Franzosen, die 1512 wieder vertrieben wurden, abermals zurückkommen würden. Es taucht wiederum nur in Ferrara auf. Danach kann es sich um einen ganz kleinen Kreis von Leuten gehandelt haben, für die dies ein Begriff war. Erst ab c. 1520 scheint dies breiter zu werden ... nimmt man an, dass um diese Zeit - da war Frankreich noch erfolgreich - ein französischer Gross-Produzent von Spielkarten sich entschied, Tarotkarten zu fabrizieren und auf jedes Karten-Paket gross Tarocchi, Taroch oder Tarau draufzuschreiben, und dieses Objekte viel preiswerter auf den Markt zu werfen als italienische Kleinhersteller dies konnten, dann könnte dies der Effekt gewesen sein, der den Namen endlich durchgesetzt hat.
Eine solche Aktion könnte zu den Dokumenten passen, die wir kennen.

Viele Fragen sind ungeklärt. Dokumente sind da, aber deren Bewertung hängt davon ab, was man in den unbekannten Raum, der nicht dokumentiert ist, hineininterpretiert. War da viel oder wenig Tarot, Trionfi oder Ähnliches in der Kartenwelt? Ich gehe eher von "da war wenig" aus, andere gehen von "da war sehr viel" aus.

Es gibt da die 5x14-theory, die in ihren Entwicklungsformen so aussieht:

1425 - 1465 ... es gibt Trionfi-Spiele mit 14 oder 16 Trumpf, 22er Versionen lassen sich nicht belegen.
1465 - ? ... es gibt Trionfi-Spiele mit 20 Trumpkarten, eventuell gibt es schon Minchiate-Versionen mit mehr als 20 Karten.
1487 ... es gibt ein erstes Spiel, von dem sich sagen läßt, dass es 22 Trumpfkarten hat, das Boardo Tarocchi poem, 1491 auch das Sola-Busca ... aber dies sind keine normalen Tarotkarten, d.h. man weiss nicht, ob das Normal-Tarot schon die 22er-Version eingeführt hat
1500-1505 ... jetzt muss das Steel-document finaler Weise irgendwie existieren, also ein 22er-Tarot ist wohl da.

An sich ist die gesamte Periode 1454-1494 relativ gut und friedlich, es gibt aber einen relativ herben Abriß zwischen 1476/78 - 1486 ... da gibt es wieder Kriege und es erwischt besonders Ferrara. Kriege waren nichts für die Verbreitung der Trionfi-Karten oder triumphale Festlichkeiten. Es kann sein, dass Trionfi-Karten da ziemlich aus der Mode kamen. 1487 - 1493 dagegen ist Party-time. Die Este-Kinder heiraten, eine Festivität jagt die andere, ein Superlativ nach dem anderen. Die Este-Kinder spielen definitiv (dann) viel Karten. Nach dem Franzosen-Einfall kommt Savonarola und Ercole wird Savonarola-Fan ... er verbietet sogar das Kartenspiel, weil Savonarola das auch in Florenz macht. Savonarola wird verbrannt, Ercole kommt halbwegs auf den Teppich, aber er sammelt jetzt stigmatisierte Jungfrauen ... im übrigern bleibt er Realpolitiker und er bekommt grosse Anerkennung. Aber die Zeiten sind schwierig, neuer Franzoseneinfall, Cesare Borgia ... alles ist ziemlich unsicher. Er geht die Liaision mit dem Papst ein, aber der wird vergiftet.

Wie will man das bewerten? Es kann sein, dass zwischen 1494 - 1505 nicht soviel los war mit Trionfi-Karten. Viel war los 1487-93, Theater, Kartenspiele, Hochzeiten.

1502 gibt's wieder eine Hochzeit ... mit 5 Theaterstücken. Spielkarten sind nicht ganz so gesichert. Der Kartenaktion 1505 geht vorher ein "Krach zwischen Brüdern" voraus, dann im Laufe des Jahres gibt es in dem Familienkrach brutalste körperliche Angriffe, dem ein Jahr später die Revolte der Brüder folgt, die damit endet, dass zwei für nahezu immer im Knast verschwinden, direkt unter der Familienküche.
Ein naher Mordfall im Jahr 1508, Alfonso steht selber im Verdacht. Dann wird Alfonso Kriegsheld, aber der Krieg geht verloren. Alfonso galt als nicht gesellig, er interessierte sich für Töpferei und Kanonen. Lucrezia Borgia musste für die Geselligkeit sorgen. Spielt so einer wie Alfonso viel Karten? Isabella d'Este in Mantova war eine Karten-Ratte, ebenso die 1497 verschiedene Beatrice.

Die ersten Trionfi-Karten im Jahre 1515 bekommen die beiden Brüder im Knast unter der Küche, ziemlich genau 10 Jahre nach dem Krach von Mai 1505, so, als sei dies ein Jubiläum. Was sagt das? Heisst das, dass in 1505-15 viel Karten gespielt wurde? Ich glaube nicht ... Danach folgt erst mal gar nichts, aber plötzlich jagt eine Kartenbestellung die andere (1616 ... die Franzosen sind wieder da); nachdem die Este ein paar Jahre wie grosse Verlierer aussahen (wegen ihres tiefgreifenden französischen Bündnisses), sieht die Lage mit einem Mal wieder sehr rosig aus.

**************

Dieser Karten-Import aus der arabischen Welt hat ja stattgefunden (was man an dem Wort Naipes sieht), aber eben dann, als es noch keinen einheimischen Karten-Markt gab. Die Trionfi-Karten sind erst sehr viel später aufgekommen und die waren dann italienischer Natur und warum sollte man da arabische Worte verwenden? Wesentlich am Tarot sind doch Bilder mit Personen, und da gibt besondere islamische Vorstellungen. Die Hofkarten der Mamelucken-Karten haben doch keine Bilder, da steht Schrift drauf.
Auch hatte die islamische Welt relativ viel Spielverbote. Als ich einem einem recht gebildeten Iraker die Mamelucken-Karten zeigte, konnte er das nicht glauben, dass es so etwas mal gegeben haben soll.
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Re: Woher stammt der Name "Tarot"

Postby Langustl » 29 Jan 2011, 08:53

Hallo Huck

Spannend, spannend, man hat den Eindruck, Du warst dabei :-) Dass der Kartenimport ohne Trümpfe passiert ist, ist mir klar, würde aber immernoch nicht völlig ausschließen, dass ein Enfluss so eines "ausländischen" Wortes vielleicht doch eine Rolle gespielt haben könnte. Naja, im Endeffekt kann man nur Indizien sammeln und sich eine Meinung dazu bilden. Sind für mich auf jedenfall insgesamt naheliegendere Versionen als das Spielchen mit "Tora, Ator, ...

Sag´mal gibt´s denn so was Differenziertes, was Du da erzählst auch schon als Buch in deutsch? Bzw. hast Du vor, das zu schreiben? Ist zwar klar, dass es da vermutlich keinen Riesenmarkt dafür gibt, weil sehr speziell, mich würde´s allerdings sehr interessieren.
LG Stephan
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Re: Woher stammt der Name "Tarot"

Postby huck » 31 Jan 2011, 08:16

Die besseren Herrschaften der Renaissance sind gut dokumentiert, ess gibt kaum eine Situation in der Geschichte, die mit ähnlichen Interesse immer wieder untersucht wird. Aus diesem Grund kann man sich an die Einzelfiguren peu a peu herantasten. Das Interesse ist nicht verwunderlich, denn es ist der Übergang von wenig Buchkultur zu viel mehr Buchkultur. Einen ähnlichen dramatischen Umschwung hat es nur selten gegeben.

Ein arabischer Ursprung des Wortes würde die Forschung nicht viel weiterbringen. Ein Araber, der in der Nähe von Tarot-Produzenten auftaucht schon. Ein Araber als Kartenproduzent in der Nähe von europäischen Kartenproduzenten wäre besser.Aber dieser oder der vorhergehende Casus liegt nicht vor. Stattdessen hat man die Möglichkeit, die Leute, die durch Dokumente tatsächlich sichtbar in einem Tarotzusammenhang aufgetaucht sind, zu untersuchen und deren Laufbahnen miteinander zu vergleichen. Dabei haben wir festgestellt, dass es ... abgesehen von Ausnahmen .. eigentlich eine begrenzte Szene ist, deren teilnehmende Personen sich oft untereinander kennen. Ntürlich muss man dann auch die allgemeinen Handlungsabläufe der Zeit verstehen, Kriege, Geschäfte, Heiraten, wichtige Neuerungen etc. ... und dies den dokumentarisch bedingten Tarot-Erscheinungen gegenübersetzen.
Kurz: Man startet im Bekannten und Erkennbaren und nicht im Unerkannten ... Araber sind fürchterlich weit weg.

Nicht weit weg war z.B. ein jüdischer Gesandter des persischen Königs, der in den Jahren 1471-74 über eine eine gemeinsame Kriegsführung gegen die Osmanen verhandelte, die dann tatsächliche, auch wenn nicht ausreichende Ergebnisse brachte. Er war kein Araber, er kam aus Spanien.
Und der ist interessant, weil etwa zu gleicher Zeit in Spanien die europäische Spielweise des Schach mit "schneller Dame" entwickelt wurde. Nun waren die persischen Könige zu dieser Zeit noch mindestens "Teil-Mongole" und in einer mongolischen Schach-Spielweise, von der man bedauerlicherweise nicht genau sagen kann, wann sie entstand, aber die Rede geht, sie sei mindestens 500 Jahre alt, wird tatsächlich eine "schnelle Dame benutzt (die dann dort aber einen anderen Namen führt, denn die Dame im Schach ist ausgesprochen europäisch).

Dieser Mann ist dann keine Fiktion, sondern man hat ihn sogar gemalt ...

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... im Zusammenhang mit Montefeltro den er besucht hat.
Montefeltro 1475/76 zeigte dann nach dem Besuch ein nachweisbares Interesse an der Zahl 28, z.B. die 28 berühmten Männer in seinem Studiolo ...

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.. die um diese Zei entstanden, die nach der Analyse vermutlich damit zusammenhängen, dass es in asiatischen Mondkalendern, Alphabeten etc. ein Interesse an der 28 gab, u.a. auch ein weiteres halb-mongolisches Schachspiel (nicht das mit der schnellen Dame).
Juden sind ja sehr oft gute Schachspieler. In diesem Zusammenhang scheint es so gewesen zu sein, dass die beiden sich auch über Schach unterhielten, in Montefeltro's Sammelsurium im Studiolo taucht dann dieses merkwürdige Schach-Symbol auf.

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Die Sache mit der persisch-venezianischen Allianz lief über eine längere Periode, von ca. 1455 - 1478, bis Uzun Hassan stirbt. Im Jahre 1479, folgerichtig, schliesst Venedig Frieden mit dem Osmanischen Reich, nach einem ca. 16-jährigen Krieg. Die Osmanen überfallen daraufhin Otranto (sehr weit südlich in Italien 1481) und bringen den Papst zum Zittern. Aber der Osmanische Sultan stirbt darüber, ...

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... und der Nachfolger beginnt zunächst mit Frankreich und dann mit dem Papst eine Beziehung, in der diese einen Thron-Konkurrenten unter Verschluss halten und dafür horrende Summen erhalten. Prinz Dschem oder Cem ...

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... wird eine Wonne der Päpste, die für ihn riesige Summen erhalten.

http://de.wikipedia.org/wiki/Cem_Sultan

Es geht soweit, dass im Borgia Appartement ...

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... Prinz Dschem direkt neben Lucrezia Borgia (als "Heilige Alexandria") erscheint, wobei man man sich nur nicht einig ist, welcher von 2 Kandidaten es sein soll.

2 Möglichkeiten: Hier mit der Maus über das Bild fahren: http://commons.wikimedia.org/wiki/File: ... t_002.jpeg

Prinz Dschem fiel während des französischen Einfalls (1494) wieder in Hände der Franzosen und wurde mit Cesare Borgia als Geisel mit nach Neapel genommen. Cesare verschwand und der Sultan war tot (1495). Ob dies nun Cesare Borgie oder "Zitat aus Anonymus Hanivaldanus: Um sich [...] seines Bruders zu entledigen, sandte er [= Osmanischer Sultan Sultan Bayezit] nach Italien den Kapıcıbaşı (dt. “der Oberste der Türhüter”) Mustafa Beğ, damit er unter dem Vorwand, die von Bayezid für Cem Sultan zugesagten Jahresgelder zu überbringen, diesen durch Gift beseitige, und dank dem Geschick Mustafas ging also dieser Anschlag dem Bayezid glücklich vonstatten" die richtige Variante der Geschichte ist, wird sich nicht aufklären lassen.
Jedenfalls haben wir 1495, d.h. im Jahr der Taro-Schlacht, das Ende einer wunderbaren pekuniären Beziehung und der aktiven Möglichkeit, ein arabisches Wort in westlichen Sprach-Umgang zu plazieren.

Für den Fortschritt der Tarot-Untersuchung ist es völlig egal, ob nun die Fluss-Taro-Variante oder die arabisches-Wort-Variante richtig ist. Es war kein weit verbreitetes Wort in 1495. Es war auch noch kein weit verbreitetes Wort in 1505-1516, als es in Ferrara benutzt wird. Aber der Ferraresische Umkreis des Hofes hatte früher schon das Potential, die Trionfi-Karten zu verbreiten und als Spiel zu etablieren, also ist ihm auch zuzutrauen, dass er es auch ca. 1520 konnte, als das Wort allmählich Fuss fasst.

Und wer ist 1505 am Hofe von Ferrara (Ersterscheinung von Taroch als Spielkartenwort)? Alfonso als Mann und Lucrezia Borgia als Frau. Alfonso war am Fluss Taro und Lucrezia Bogia kannte Prinz Dschem. So, alles da, beide Fährten führen zum gleichen Personenkreis.

Im Jahre 1559 verkauft ein Kartenmacher in Rom sein Inventar an einen Nachfolger (in einem Daulis-Artikel):

http://www.tarot-as-tarocchi.com/carte_ ... v_sec.html
A di 3 di maggio 1559. Richeza (?) Per conto di m.ro Domenico Cartaro al detto

* Prima Quattro riversi et dui Scacchi, scudi 1.20
* Una stampa di Tarocchi picculi formata, scudi 1,50
* Una stampa di Tarocchi grandi formata, 2 scudi
* Tre para di Stampe di carte formate, scudi 4,50
* Una stampa di Tarocchi Todini, scudi 0,50
* Tarocchi ligati a Mazzi para 120, 12 scudi
* Tarocchi ligati in carta bianca para 35, scudi 3,85
* Tarocchi Todini forniti para 17, scudi 2.20
* Carte ligate a Mazzi para 88, scudi 4,40
* Carte ligate in carta bianca romanesche para 200, scudi 10
* Carte romanesche ligate in carta bianca para 30, scudi 1,65
* Tarocchi Romaneschi ligati in carta bianca para 7, scudi 0,75
* Tarocchi senza carta tagliati para 20, scudi 0,70
* Carte dipinte para 30, scudi 0,90
* Carte bianche in cartone para 175, scudi 1,40
* Tarocchi Bianchi senza carte para 150, scudi 0,90[/color]
* Tarocchi ferraresi legati in carta bianca forniti para 93, scudi 13
* Tarocchi ferraresi legati in carta bianca forniti para 14, scudi 12
* Tarocchi ferraresi cum li dieci De Marco Antonio de Janui dozine 24, scudi 19

* Carte romane fatte a Lion di Francia marcho di Moret dozine 36, scudi 1,80
* Carte romanesche larghe fatte Lion fenite e ligate in carta bianca dozine cinque, scudi 2,50


Hier über den Wert eines Scudi ungefähr um die gleiche Zeit. Die Preise sind natürlich keine Endbenutzer-Preise !!!!

http://books.google.com/books?id=pwAggV ... at&f=false
Image

Man sieht, Ferrara macht immer noch einen grossen Teil des Geschäfts. Etwa um 1540 (vielleicht auch später) macht ein paduanischer Dichter die Beobachtung, dass die ferraresischen Karten deutlich schöner sind als die heimischen Varianten (immer noch).

Hm, hm, hm ... ich habe dir zu danken für die Fragestellung. Angesichts der Liste von 1559, die ich dieser Tage zum ersten mal gesehen habe, scheint die Entwicklung, wie dieser Schritt, dass das Wort "Tarot" das andere Wort "Trionfi" überlagerte, völlig klar zu sein. Es gibt keine Verbreitung des Wortes Taroch außer in Ferrara (abgesehen von Avignon, aber das ist ein Sonderfall), bis zu dem entscheidenden Moment in 1515, als eine relative Hektik in der Spielkarten-Produktion am Ferraresischen Hof losgeht. Ferrara ist, wie man aus der Liste 1559 ersehen kann (eine römische Liste) immer noch der erfolgreichste Tarotkarten-Hersteller, was vermutlich schlicht damit zu tun hat, dass Ferrara einfach der Ort und Start der Massenproduktion war, ca. 1520 ... oder wenn sie später als andere kamen, einfach das Wort Tarot auf den Umschlag druckten und sich individualisierten.

Das Wort "Trionfi" bekam Inflation, man begann andere Spiele zu spielen, die AUCH Trionfi genannt wurden, ganz ohne besondere Spielkarten. Dies würde einen Spielkartenhersteller heute auch ärgern, wenn sein Produktname verwildert wird. Wann diese Entwicklung einsetzte, weiss ich - oder man - nicht genau, Rabelais in 1534 jedenfalls weiss ganz genau, dass Taraux und Trionfi zwei verschiedene Dinge sind. Ein spanisches Spiel um 1540 nennt sich spanisches Trionfi, kennt aber keine Sonderkarten.

... .-) .. schön, ein kreativer Moment des Tages, aber bedarf weiterer Untersuchung.

*******************

Nein, es gibt im Moment noch kein Buch auf Deutsch. Im Hajo-Banzhaf-Forum (dem alten, das jetzt ein Archiv ist) habe ich einiges geschrieben ("Huck" suchen), auf http://koeln-tarot/trionfi.com/ gibt's einige Sachen zu Kölner Spielkarten.
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