Posted: 27 Jan 2011, 15:18
Langustl wrote:Hallo Huck
Danke, sehr spannend! Was ich noch nicht verstanden habe: Wie ergibt sich jetzt die Verbindung aus der abfällgen Frazosenbetitelung zur Benennung der Karten?
Übrigens finde ich den Gedanken mit dem arabischen Wortursprung nicht völlig weit hergeholt. Schließlich gab es Handelsverbindungen zwischen Europa und Nordafrika. Lass da mal ein paar Händler oder Soldaten die Karten mitgebracht haben, und wenn man sie fragt, erzählen sie, dass die, von denen sie das haben es "Tara" oder so ähnlich genannt haben. So wie das halt üblich ist, wenn sich Völker verständigen, die die gegenseitige Sprache kaum können Hört sich für mich zumindest einigermaßen natürlich an ;-)
Falls es so war, dass die Italiener den Fluss und Schlachtort zum Franzosenspott benutzten, die Franzosen sich aber nicht geschlagen gaben (was sich daraus ergibt, dass sie zurückkamen und dann erfolgreicher waren), konnte sich das italienische Spottwort zum französischen Triumphwort umkehren.
Die Situation in der Hochrenaissance (1455 - 1494) war so, dass ganz Europa anfing, sich über die italienischen Fortschritte zu verwundern. Die Bewunderun ging so weit, dass sich mit der Zeit Halbeuropa mit der "Renaissance-Idee infizierte und italienische Verhältnisse nachahmte. Diese Fortschritte waren möglich, weil sich Italien in dieser Phase nicht mehr selbst zerfleischte (wie zwischen 1425-1454), der Papst wieder im Lande war (zurück von Avignon), die Kirchenspaltung überwunden (Gegenpapst Felix hatte 1449 final als letzter der Gegenpäpste aufgegeben) und der ganze Ost-West-Handel über Italien lief. Ferner hatte eine kleine Eiszeit eingesetzt, die Italien kühler und Nordeuropa noch kälter machte. Und der Papst hatte freie Bahn für angeblich religiöse Zwecke Geld einzusammeln.
Italienische Städte konnten viel grösser werden als nordeuropäische, weil sie weniger Holz zur Heizung brauchten. Köln, damals größte Stadt Deutschlands, wäre bevölkerungsmäßig in Italien nur eine Stadt von Mittelmass gewesen. Dadurch ergaben sich ganz andere urbane Bedingungen mit viel mehr Möglichkeiten.
Rom - ziemlich runtergekommen in der papstlosen Zeit - stieg in kurzer Zeit von 20.000 Bewohnern zu 90.000 auf ... dank papstlicher Bautätigkeit. Gelder die woanders verdient und in Rom ausgegeben wurden.
In Italien entwickelten sich in dieser grandiosen die "Trionfi", jetzt nicht als Karten gemeint, sondern als richtige grosse Feste mit allem Drum und Dran. Triumphale Selbstdarstellungen ... das machte Eindruck. Auf diese Art war das Wort Triumph oder auch Trionfi für Ausländer belegt. Als die Franzosen Mailand einnahmen, wollten sie keinen "italienischen Triumph", sondern einen französischen.
Generell havben wir keinen Beleg, dass die Einführung des neuen Wortes Tarau oder Taroch sofort eine grosse Sache war. Nach 1505 taucht das Wort erst wieder 1515 auf, in einer Phase, als sich andeutete, dass die Franzosen, die 1512 wieder vertrieben wurden, abermals zurückkommen würden. Es taucht wiederum nur in Ferrara auf. Danach kann es sich um einen ganz kleinen Kreis von Leuten gehandelt haben, für die dies ein Begriff war. Erst ab c. 1520 scheint dies breiter zu werden ... nimmt man an, dass um diese Zeit - da war Frankreich noch erfolgreich - ein französischer Gross-Produzent von Spielkarten sich entschied, Tarotkarten zu fabrizieren und auf jedes Karten-Paket gross Tarocchi, Taroch oder Tarau draufzuschreiben, und dieses Objekte viel preiswerter auf den Markt zu werfen als italienische Kleinhersteller dies konnten, dann könnte dies der Effekt gewesen sein, der den Namen endlich durchgesetzt hat.
Eine solche Aktion könnte zu den Dokumenten passen, die wir kennen.
Viele Fragen sind ungeklärt. Dokumente sind da, aber deren Bewertung hängt davon ab, was man in den unbekannten Raum, der nicht dokumentiert ist, hineininterpretiert. War da viel oder wenig Tarot, Trionfi oder Ähnliches in der Kartenwelt? Ich gehe eher von "da war wenig" aus, andere gehen von "da war sehr viel" aus.
Es gibt da die 5x14-theory, die in ihren Entwicklungsformen so aussieht:
1425 - 1465 ... es gibt Trionfi-Spiele mit 14 oder 16 Trumpf, 22er Versionen lassen sich nicht belegen.
1465 - ? ... es gibt Trionfi-Spiele mit 20 Trumpkarten, eventuell gibt es schon Minchiate-Versionen mit mehr als 20 Karten.
1487 ... es gibt ein erstes Spiel, von dem sich sagen läßt, dass es 22 Trumpfkarten hat, das Boardo Tarocchi poem, 1491 auch das Sola-Busca ... aber dies sind keine normalen Tarotkarten, d.h. man weiss nicht, ob das Normal-Tarot schon die 22er-Version eingeführt hat
1500-1505 ... jetzt muss das Steel-document finaler Weise irgendwie existieren, also ein 22er-Tarot ist wohl da.
An sich ist die gesamte Periode 1454-1494 relativ gut und friedlich, es gibt aber einen relativ herben Abriß zwischen 1476/78 - 1486 ... da gibt es wieder Kriege und es erwischt besonders Ferrara. Kriege waren nichts für die Verbreitung der Trionfi-Karten oder triumphale Festlichkeiten. Es kann sein, dass Trionfi-Karten da ziemlich aus der Mode kamen. 1487 - 1493 dagegen ist Party-time. Die Este-Kinder heiraten, eine Festivität jagt die andere, ein Superlativ nach dem anderen. Die Este-Kinder spielen definitiv (dann) viel Karten. Nach dem Franzosen-Einfall kommt Savonarola und Ercole wird Savonarola-Fan ... er verbietet sogar das Kartenspiel, weil Savonarola das auch in Florenz macht. Savonarola wird verbrannt, Ercole kommt halbwegs auf den Teppich, aber er sammelt jetzt stigmatisierte Jungfrauen ... im übrigern bleibt er Realpolitiker und er bekommt grosse Anerkennung. Aber die Zeiten sind schwierig, neuer Franzoseneinfall, Cesare Borgia ... alles ist ziemlich unsicher. Er geht die Liaision mit dem Papst ein, aber der wird vergiftet.
Wie will man das bewerten? Es kann sein, dass zwischen 1494 - 1505 nicht soviel los war mit Trionfi-Karten. Viel war los 1487-93, Theater, Kartenspiele, Hochzeiten.
1502 gibt's wieder eine Hochzeit ... mit 5 Theaterstücken. Spielkarten sind nicht ganz so gesichert. Der Kartenaktion 1505 geht vorher ein "Krach zwischen Brüdern" voraus, dann im Laufe des Jahres gibt es in dem Familienkrach brutalste körperliche Angriffe, dem ein Jahr später die Revolte der Brüder folgt, die damit endet, dass zwei für nahezu immer im Knast verschwinden, direkt unter der Familienküche.
Ein naher Mordfall im Jahr 1508, Alfonso steht selber im Verdacht. Dann wird Alfonso Kriegsheld, aber der Krieg geht verloren. Alfonso galt als nicht gesellig, er interessierte sich für Töpferei und Kanonen. Lucrezia Borgia musste für die Geselligkeit sorgen. Spielt so einer wie Alfonso viel Karten? Isabella d'Este in Mantova war eine Karten-Ratte, ebenso die 1497 verschiedene Beatrice.
Die ersten Trionfi-Karten im Jahre 1515 bekommen die beiden Brüder im Knast unter der Küche, ziemlich genau 10 Jahre nach dem Krach von Mai 1505, so, als sei dies ein Jubiläum. Was sagt das? Heisst das, dass in 1505-15 viel Karten gespielt wurde? Ich glaube nicht ... Danach folgt erst mal gar nichts, aber plötzlich jagt eine Kartenbestellung die andere (1616 ... die Franzosen sind wieder da); nachdem die Este ein paar Jahre wie grosse Verlierer aussahen (wegen ihres tiefgreifenden französischen Bündnisses), sieht die Lage mit einem Mal wieder sehr rosig aus.
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Dieser Karten-Import aus der arabischen Welt hat ja stattgefunden (was man an dem Wort Naipes sieht), aber eben dann, als es noch keinen einheimischen Karten-Markt gab. Die Trionfi-Karten sind erst sehr viel später aufgekommen und die waren dann italienischer Natur und warum sollte man da arabische Worte verwenden? Wesentlich am Tarot sind doch Bilder mit Personen, und da gibt besondere islamische Vorstellungen. Die Hofkarten der Mamelucken-Karten haben doch keine Bilder, da steht Schrift drauf.
Auch hatte die islamische Welt relativ viel Spielverbote. Als ich einem einem recht gebildeten Iraker die Mamelucken-Karten zeigte, konnte er das nicht glauben, dass es so etwas mal gegeben haben soll.